02. April 2016

Die Entstehung der Bolex 16 Pro

 

Ende der 1950er Jahre wollte die Schweizer Firma Paillard-Bolex für sich den Markt professioneller 16mm Kameras erschließen. Seit 1935 war man mit 16mm und Doppel 8 Federwerkkameras sehr erfolgreich. Wenn sich aus den Seriennummern Rückschlüsse auf den Verkauf ziehen lassen, hatte man Anfang der 60er Jahre mehr als 150 Tausend 16mm Kameras verkauft. 1961 wurde ein Entwicklungsteam zusammengestellt, nicht am Hauptsitz des Unternehmens in Yverdon am Neuenburger See im Kanton Waadt, sondern bei der Deutschen Serviceniederlassung in München, weil der Münchner Raum filmtechnisch am weitesteten erschlossen war, das mögliche Personal versprach und viele Zulieferfirmen für filmtechnische Komponenten beheimatete. Chef der Entwicklungsabteilung wurde Dr. Angelo Jotzoff, der zuvor für Frieseke & Hoepfner in Erlangen an 35mm Kinoprojektoren gearbeitet hatte. Ihm an die Seite stellte man den 23 jährigen Georg Thoma, der beim Münchner Unternehmen Deckel Werkzeugmacher und Elektroniker gelernt hatte und dann an der Entwicklung von Compur Zentralverschlüssen für Fotoobjektive arbeitete. Drei Monate lang tüftelten die beiden in den Firmenräumen an der Leopoldstrasse 19 am Konzept einer professionellen 16mm Reportagekamera, die alles realisieren sollte, was technisch machbar war.

Anfang der 1960er Jahre war die Auswahl an professionellen 16mm Schmalfilm Kameras noch sehr bescheiden. Es gab die erfolgreiche Arriflex 16 ST, die Bolex H16, die Bell&Howell Filmo und die Auricon Kameras aus den USA. Die Eclair 35mm Camflex konnte in einer Version auch mit 16mm betrieben werden, die Eclair 16 NPR war noch nicht am Markt. Auch die Debrie Sinmore 16mm Kamera wird erst Mitte 1962 präsentiert.

Die Vorstellungen des Bolex Entwicklungsteams gingen weit über das hinaus, was damals üblich war und der Kameraentwurf war zukunftsweisend und seiner Zeit weit voraus:

  • auf der Schulter balancierte Kamera mit geringen Abmessungen durch Koaxialkassetten
  • schnellwechselbare Koaxialkassette mit Vorrats- und Verbrauchsanzeige
  • automatische Filmeinfädelung nach Ansetzen der Kassette
  • Bajonettverschluss für Wechselobjektive
  • Zoomobjektive voll fernsteuerbar in Fokus- und Zoomeinstellung
  • automatische Belichtungssteuerung mit Belichtungsmessung durch das Objektiv
  • manuelle Blendeneinstellung möglich
  • für alle Formen von Tonaufnahmen mit Quarzsteuerung, Pilotton, Magnetrandspur
  • quarzstabilisiert Synchrongeschwindigkeiten für 24 und 25 Bilder/s
  • Bildgeschwindigkeiten von 16 bis 50 Bilder/s stufenlos einstellbar, später auch 16-100 B/s
  • schneller Start und Stopp ohne Bildverlust, Szenenanschnitt in der Kamera
  • Einzelbildschaltung manuell oder automatisch mit Taktgeber
  • Zählwerk für belichtete Einzelbilder und Filmverbrauch in Feet oder Metern
  • Vor- und Rückwärtslauf mit automatischer Umschaltung der Wickelrichtung
  • automatische Ab-, Auf- und Ãœberblendung in der Kamera
  • Sucher-Offen Automatik
  • 20fach Okularsucher umschaltbar auf Mattscheibe oder Luftbild
  • Blendenanzeige im Sucher
  • Gummiaugenmuschel auch für Brillenträger
  • Okular für linksäugigen Einblick verlängerbar
  • Zentralmotor für alle Funktionen
  • Wartungsfreier Spiegel- und Greiferantrieb
  • Fernsteuerbar in allen wichtigen Funktionen

 

Angelo Jotzoff war ein Getriebespezialist und hatte schon konkrete Vorstellungen, wie Motor, Spiegel und Greifer angeordnet und auf einfache Weise verbunden sein sollten. Motor und Spiegelwelle sind identisch und im 45 Gradwinkel rechts zur optischen Achse angeordnet. Am Ende der Motorwelle im äußersten Eck des linksseitigen Kameragehäuses (Ausbuchtung) gibt es ein Getriebe mit Schnecke und Schneckenrad, von dem im 45 Grad Winkel die Antriebsachse zurück ins Kameragehäuse bis zur optischen Achse hinter dem Bildfenster geführt wird. Auf dieser Achse sitzen nebeneinander die Zahntrommeln zum Vor- und Nachwickeln des Films auf dem Weg in die Kassette und zurück, ein Zahnrad für die Kopplung des Aufwickelantriebs der Kassette und eine weitere Schnecke zum Abgreifen der Umdrehungsanzahl als Antrieb des Zählwerk auf der linken Kameraseite. Der Greifer ist hinter dem Spiegel auf der Motorwelle angebracht und greift im 45 Grad Winkel in die Filmperforation. Das Getriebe zwischen Motorwelle und Antriebsachse mit der Schneckengangverbindung läuft gekapselt in einer permanenten Schmierfettkammer und ist servicefrei. Der Aufbau des gesamten Antriebs ist nicht nur extrem einfach und wartungsfrei sondern im Resultat auch sehr leise, da es außer zwei Zahnrädern am Kreuzungspunkt der beiden Wellen und einem weiteren beim Übergang zur Kassette keine Geräusch emittierenden Verbindungen gibt. Der Greifer arbeitet mit Schwinghebelführung und ist einfach aufgebaut, mit einem Exzenter und einem ortsfesten Lagerpunkt, in dem er dreh- und verschiebbar gelagert ist. Allgemein wird diese Form als Kurbelgreifer bezeichnet. Der Lagerpunkt in Form eines Stiftes mit Kulissenstein ist seinerseits zur genauen Justage in Exenterfassung und kann nach Lösen einer Schraube verdreht werden. Besonders gestaltet ist beim Bolex 16 Pro Greifer die Spitze, denn der im 45Grad Winkel zur Perforation wirkende Greifer berührt den Film während der Hubbewegung durch die Winkelveränderung an verschiedenen Stellen. Deshalb ist die Greiferspitze entsprechend geschliffen, so daß sich von Greifer zum Film immer eine größere Auflagefläche ohne spitze Kanten ergibt. Dies gilt sowohl für den Vor- wie den Rücklauf. Der Greifer hat keine Kurvenkammern oder Gelenke und arbeitet Geräusch reduziert. Der eigenentwickelte Motor ist kollektorlos und die Motorwelle wurde mit zwei hochgenauen, achsial vorgespannten Instrumenten-Kugellagern versehen. Diese präzise Lagerung war notwendig um den Umlaufspiegel μ-genau zu positionieren und somit ein dauerhaftes scharfes Mattscheibenbild zu bekommen. Durch die niedrige Drehzahl des Motors mit 1500 U/min, bei 25 B/s, war auch die Geräuschentwicklung minimal.

  

  • 1   Motor
  • 2   Greifer mit Exzenterscheibe
  • 3   Spiegelblende
  • 4   Schneckengang Verbindung der Achsen
  • 6   Zahntrommel zum Aufwickeln
  • 7   Antrieb für Kassettenwicklung
  • 8   Zahntrommel zum Vorwickeln
  • 9   Aufwickelseite in Kassette
  • 10 Zählwerk

Einen sauberen Bildstand ohne zusätzlichen Sperrgreifer erreicht man bei der Bolex 16 Pro durch einen ganz einfachen Trick. Die Filmbahn ist oberhalb und unterhalb des Bildfensters im Winkel von 6° geknickt, wodurch der Film selbständig gegen das Bildfenster gedrückt wird und eine stabile Lage bekommt. Dadurch ist nur noch ein geringer Rückseitenandruck nötig und schont den Film.

 

Andruckplatte mit gewinkelter Filmführung

Der Greifer beschreibt eine Ellipse und beim Ein- und Austritt befindet er sich genau im Scheitelpunkt. Bildfenster und Filmandruckplatte werden aus Stahl gefertigt und sind unter hohem Druck extrem verdichtet. Anschließend werden alle den Film berührenden Teile  gehärtet, geschliffen und spiegelglatt poliert, eine Technik, die auch bei den Arri-Kameras üblich war. Es gab Bolex 16 Pro Kunden, die haben durch ihre Kamera 150 000 Meter Film laufen lassen, ohne das es merklichen Abrieb oder Spuren gegeben hat.

 

  • 4  Umlaufspiegel
  • 5  Sucher
  • F  Filmebene
  • 7  Motor
  • 15 Greifer
  • 27 Vorwickel Zahnrolle
  • 26 Aufwickel Zahnrolle

 

Die Koaxialkassette

Bolex 16mm Kameras hatten schon immer Hilfen zum Filmeinlegen in Form von einschwenkbaren Schlaufenformern. Bei der 16 Pro sollte das Filmeinlegen noch einfacher und automatisiert werden.

Die Bolex 16 Pro musste als schnelle Reporterkamera mit vielen Automatikfunktionen die Form einer Schulterkamera haben, da waren sich Jotzoff und Thoma von Anfang an einig und für so ein Vorhaben kam nur eine koaxiale Anordnung der Filmrollen in Frage. Die Koaxialanordung ist nichts Neues, es hat sie schon bei Askania und Debrie Kameras gegeben, wo die 35mm Rollen in Einzelkassetten auch aus Platzgründen links und rechts im rechteckigen Blimp-Kameragehäuse eingesetzt sind. Problem dieser Anordnung ist grundsätzlich die Filmführung  von der Abwickel- in die Aufwickel-Ebene, die man nur mit Schlaufen oder Umlenkrollen realisieren kann. Die dabei entstehenden Verschlingungen machen die Schlaufen labil und können den Bildstand im Bildfenster beeinträchtigen. Dann braucht man Sperrgreifer oder zusätzliche Zahnrollen, die wiederum den Schalt- und Getriebeaufwand erhöhen. Bei der Bolex 16 Pro ist das Problem genial einfach gelöst. Aus dem Versatz zweier nebeneinander auf einer Achse angeordneten 16mm Filmrollen ergibt sich bei einem geradlinigen Übergang ungefähr ein Winkel von 9 Grad. 

 

Blick vom Objektiv auf Bildfenster    

Kamera mit angesetzter Kassette

Die Koaxialkassette der Bolex 16 Pro ist um diese 9 Grad zur Ebene des Bildfensters geneigt und der Ausgleich zwischen Zulauf- und Ablauf des Films zum Transport durchs Bildfenster wird durch die Schlaufen vor und nach dem Bildfenster aufgefangen. Die oben beschriebene Achse  mit den Vor- und Nachwickelzahnrad ist natürlich auch um diese 9 Grad geneigt, und das führt zu einem Nachteil dieser Konstruktion: Geneigte Achsen und Kassettenanschlüsse erfordern in der Fertigung mehr Aufwand und machen die Produktion teurer. Immerhin war der Aufbau der Kassette mit zwei symmetrischen Deckeln, gefederten Andrucktellern und Schwingarmen für die Vorrats- und Verbrauchsanzeige sehr einfach und ließ eine Verwendung von Kunststoff zu. Zunächst waren die Kassetten völlig aus Kunststoff gefertigt, dann erhielten sie einen Aluminium Rahmen, mit dem sie am Kameragehäuse angesetzt und verriegelt wurden. Dieses Prinzip wurde bei den Touch & Go Adapterplatten der Sachtler Schwenkköpfe verwendet, deren Konstruktion von Georg Thoma stammte. Der exzenterförmige Kassetten-Verschluss zieht sich nach Ansetzen durch den Druck einer Spiralfeder auch bei Bewegungen immer fester an. Mit dem großen Drehknopf an der hinteren Tragegriffseite wird die Kassette entriegelt. Anders als bei vielen späteren Kameras mit Koaxialkassetten (Arri 35 BL, Arri 16SR, Eclair ACL) ist die Filmvorratsrolle auf der dem Kameramann zugewandten Seite untergebracht. Durch die automatische Einfädelung und die verdeckte Filmführung ist aber bei der Bolex 16 Pro ein Abnehmen der Kassette nur möglich, wenn der Film bis zum Ende durchgelaufen ist oder zerschnitten wird. Dazu ist ein internes Messer vorhanden, das an der linken Kameraseite neben dem Zählwerk durch herauf Drücken eines Hebels betätigt wird und nach Filmschnitt den Motor startet, um den Restfilm aus der Kamera in die Kassette laufen zu lassen. Wer bei einer Produktion zwischen Filmmaterialen verschiedener Empfindlichkeit hin und her wechseln muss, der braucht bei der Bolex 16 Pro viele Kassetten. Aber die Kamera war als Reportagekamera gedacht, für den schnellen Einsatz, sozusagen als vorweggenommene ENG-Kamera. Video Reportagekameras kamen erst Mitte der 70er Jahre in praktikabler tragbarer Form zum Einsatz (RCA TK76) und die Bildqualität der Bolex 16 Pro mit 400ASA Umkehrfilm ist da deutlich besser gewesen als das elektronische Bild.

 

Das Okular

Georg Thoma war im zwischenzeitlich stark angewachsenen Entwicklungsteam - in der Hochphase waren es 16 Personen - der einzige mit Optik-Erfahrung aus seiner Zeit bei der Firma Deckel und den Compur-Verschlüssen. Zusammen mit der Münchner Firma Rodenstock entwickelte er den Okularsucher der Kamera, der neben Spiegeln und Prismen 19 Linsen verwendet, um ein helles 20 fach vergrößerndes Bild zu bekommen. Das Okular ist in den Kamerakörper eingesteckt und kann nach oben um 90 Grad und weiter nach vorne um 180 Grad geschwenkt werden. Die Bildlage wird dabei nicht ausgeglichen. Im Okular ist ein Strichplattenrevolver drehbar eingebaut. Die Platte lässt sich mit  einer Rändelwalze an der Unterseite des Okulars um 180 Grad drehen, was die Umschaltung von Mattscheibe auf Klarglas mit Luftbild bewirkt. Eine Dioptrien Einstellung ist möglich. Oberhalb des Mattscheibenbildes sind 9 Punkte an denen ein Zeiger Auskunft über die Blende gibt. Der mittlere dickere Punkt markiert Blende 8, jeder Punkt seitlich eine Stufe darüber oder darunter.

Nach damaligen Umfragen waren ungefähr 10% der Kameramänner links sichtig. Dafür wurde ein optisches Verlängerungsstück gebaut, mit dem man das Okular weiter vom Kamerakörper entfernen konnte, so daß man komfortabel mit dem linken Auge ins Okular blicken kann. Mit der Verlängerung handelte man sich eine leichte Gelb-Verfärbung des Sucherbildes ein, weil das optische Glas-Zwischenstück nicht ganz neutralklar herstellbar war. Aus dem Sucherstrahlengang wird auch das Licht für die Belichtungsmessung abgezweigt, die von Automatik auf manuell umgeschaltet werden kann. Das Okular hat einen Druckverschluss, der bei Druck auf die Gummimuschel den Einblick frei gibt und Streulichteinfall durchs Okular ausschließt. Er ist in Offenposition arretierbar. Zwei Gummimuscheln sind lieferbar, eine normale und eine große für Brillenträger.

An Stelle des Okulars kann auch eine Videokamera eingesetzt werden. Damit ist die Bolex 16  Pro über einen Monitor fernsteuerbar. Eine Videoausspiegelung parallel zum gleichzeitigen Sucherdurchblick war nicht vorgesehen.

 

Objektivfassung

Bei Objektivfassungen suchte Anfang der 60er Jahre jeder Hersteller seine eigene Lösung und die war durch den Reflexspiegel und die Schnittweite einerseits und durch eventuelle Objektivrevolver-Lösungen andererseits reglementiert. Das Bajonett der Bolex 16 Pro ist ein eigener Entwurf und basiert auf den Erfahrungen, die Georg Thoma mit Objektiven und Compur Verschlüssen bei Deckel gemacht hatte. Die Bolex 16 Pro hat einen Bajonett Verschluss  mit Überwurfring für drei Flanschfalze. Dieser Verschluss war zur damaligen Zeit sehr modern. 1965 führte Arri mit der 16BL das Stahlbajonett ein und ein ähnlicher Bajonett Verschluss wie ihn die 16 Pro hat kam bei Arnold&Richter erst 1982 mit der PL-Fassung.  Oben in der Fassung gibt es einen Fixierstift. Das Auflagemaß ist mit 75mm sehr hoch und die Objektive müssenweit in die Fassung hineinreichen. Der Durchmesser ist aber sehr weit und groß genug, so dass auch das Kupplungselement für den Blendenantrieb untergebracht werden kann, ebenso wie ein Stift, zur Aktivierung der Anzeige im Sucher.

Das hohe Auflagemaß war Folge der Unterbringung der drei Schrittmotore für Focus, Zoom und Iris, unterhalb und oberhalb der Objektivfassung. Durch den großen Fassungsdurchmesser mit 65mm Ø wurde das kopflastige Objektiv stoßfest gehalten und die Objektivfassung konnte problemlos aus Hart-Aluminium gefertigt werden. Es gab drei Objektive zur Bolex 16 Pro: ein Angénieux Zoom12-120,  ein Schneider Zoom 10-100 ein Zeiss Weitwinkel 8mm. Alle Objektive mussten speziell für die Verwendung an dem Bajonett umgebaut werden und wegen des hohen Auflagemaßes gab es vor allem bei dem 8mm Weitwinkelobjektiv ein besonderes Problem. Die Scharfeinstellung ließ sich nicht mehr betätigen, weshalb es als Fixfokus Objektiv geliefert wurde.Unterhalb der Objektivfassung sind die Wellen der beiden Servomotore für Fokus und Zoom. Sie werden mit dem Objektiv über Gummikupplungen verbunden. (Die Gummikupplungen fehlen auf den Bildern). Durch die geringe Getriebeuntersetzung und den kollektorlosen Schrittmotor kann man das Objektiv auch von Hand manuell betätigen, ohne es ab zu koppeln. Bei Reißbewegungen am Zoom rutscht die Kupplung durch.

 

Fernsteuerung  und Handhabung

Die Kamera wird an den zwei Handgriffen gehalten und ist damit voll fernsteuerbar. Am rechten Handgriff befindet sich der Auslöser (Daumen) und die Zoom-Wippe  (vier Finger) zur Verstellung der Brennweite. Die Geschwindigkeit des Zoomservos kann an einem Drehknopf auf dem linken Ansatz zum Handgriff vorgewählt werden. Am Linken Handgriff gibt es eine Wippe zur Fokusverstellung (vier Finger) und ein Einstellrad für die Bildfrequenz (Daumen). Dieses Einstellrad kann für 24 und 25Bilder/s fest einrasten (gedrückt) oder frei regelbar zwischen 16 und 50 Bilder/s (gezogen) benutzt werden. Ein Verstellen während des Kameralaufs ist möglich und die Belichtungsautomatik gleicht Unterschiede aus. Am linken Handgriff kann an einem weiteren Einstellrad oben auf dem Ansatz zum Handgriff die Blende manuell durch Drehen geregelt werden, wenn die Automatik abgeschaltet ist. Auch das manuelle Verstellen benötigt den Blendenservomotor. An beiden Handgriffen gibt es Verbindungsbuchsen zum Anschluss einer Kabelfernbedienung. Damit ist eine Fernsteuerung vieler Bedienfunktionen möglich.

 rechter Handgriff mit Wippe, Steckeranschluss

Die vielen Möglichkeiten der Kamerahandhabung machen das Bedienen aufwendig. Nicht umsonst ist die Bedienungsanleitung 50 Seiten stark. Die technischen Sammelblätter von Gerhard Fromm verdanken der Bolex 16 Pro ihre Entstehung. Mit ihren vielen Möglichkeiten schrie die Kamera förmlich nach einer praxisnahmen Anleitung und so erschien 1974 das erste Sammelblatt im Film&TV Kameramann.

 

Elektronik

Für die vielen automatisierten Abläufe der Bolex 16 Pro war eine umfangreiche Elektronik nötig. Der Entwicklungsauftrag dafür ging an die Firma Auerhammer in Germering bei München. Die Schaltplatine, das war von Anfang an klar, würde nicht ins Kameragehäuse passen oder dieses unnötig grösser machen. Sie sollte zusammen mit der Batterie in einem externen Gehäuse untergebracht werden. Das sogenannte Steuergerät wurde zweiteilig konzipiert, aus einem Elektronikaufsatz mit Schaltern und Anschlussbuchsen  und aus dem Batterieteil unten. Beide Teile werden mit zwei Spannverschlüssen zu einer Einheit zusammen gefasst. Steuerteil und Kamera werden durch ein 14 poliges Kabel mit beidseitig gleichem Lemo-Stecker verbunden. Außen am Gehäuse gibt es sogenannte Befestigungskugeln, an denen man den Trageriemen einklipsen kann. Diese Verschlusstechnik stammt von der Firma Porsche, bei der das Verdeck des Caprios so befestigt wird. Der Batterieteil verwendet 12V Dryfit Sonnenschein Batterien und die volle Ladung soll für sechzehn  120 Meter Kassetten reichen. Auch das Ladegerät ist im Steuerteil eingebaut, wird aber bei der späteren Version als unnötiger Ballast herausgenommen. Die vier Stifte oben auf dem Steuerteil dienen zur Befestigung weiteren Zubehörs, wie zum Beispiel eines Einzelbild-Taktgebers oder des Aufnahmeverstärkers bei der COMMAG Version. 

 

Steuergerät spätere Version

 

Bei Verkaufsstart ist es die Elektronik schließlich, die den Absatz der Kameras hemmt.  Der Zulieferer vergießt die Platinen zunächst, aus Angst, man könne sie kopieren und ohne ihn herstellen. Dann sind die verwendeten Leistungstransistoren mit 10A zu schwach dimensioniert um die hohen Anlauf-und Abbremsleistung des Motors dauerhaft zu überstehen. Es gibt viele Ausfälle. Vor allem in der Produktion zum Testen der Kamerakörper braucht Georg Thoma ein zuverlässiges Steuergerät und baut eine neue Version mit mehreren Steckplatinen und mit 60A Germaniumtransistoren, die genügend Leistungsreserven haben. Als Dr. Jotzoff die neue Elektronik sieht, wird sofort die Übernahme in die Serienherstellung beschlossen. Äußerlich ändert sich nicht viel an dem Steuergerät, aber die Verkaufszahlen gehen nach oben, nachdem sich die Zuverlässigkeit eingestellt hat.

 

 

oben Mitte, Einsteckmodul mit Quarzsteuerung

 

Ton

Eine Reportagekamera muss für Tonaufnahmen tauglich sein. Die Bolex 16 Pro war durch ihren besonderen Aufbau von Haus aus leise und blieb mit dem Laufgeräusch einem Meter vor dem Bildfenster unter denen in den Pflichtenheften des IRT geforderten 30 dB. Durch den kollektorlosen Motorantrieb mit Steuerelektronik war sie bestens für das zwei Streifen Tonaufnahmeverfahren mit separatem Magnetbandgerät (SEPMAG) geeignet, sowohl für das Quarzton- wie für das Pilottonverfahren. Dabei wird der Pilotton nicht durch einen Generator vom Kameraantrieb abgeleitet sondern von der Quarzsteuerung des Motors erzeugt. Diese Quarzsynchronisierung  ist als Einsteckmodul konzipiert und wird im Elektronikgehäuse eingesteckt. Je nach Strom Netzfrequenzen  der Länder gibt es 50/60Hz Module für 25 oder 24 Bilder/s.Auch die einstreifige Tonaufzeichnung auf eine Magnetrandspur des Filmmaterials ist möglich (Commag-Version). Dazu gibt es eine gesonderte Ausführung der Kamera mit einem hinter dem Bildfenster angeordneten Tonaufzeichnungskopf, der auch nachrüstbar war.

Damit beim Einstreifenverfahren eine Tonkontrolle möglich ist, gibt es in dieser Ausführung der Kamera einen Lautsprecher in der Kameratür, über den man den Ton in Hinterbandwiedergabe kontrollieren kann. Dieses Feature hat es später wieder bei Videocamcordern gegeben, da aber nicht in Hinterband.

Georg Thoma 1987 in seiner Firma  

 

Produktion der Kamera

Georg Thoma wollte sich schon seit dem Weggang von der Firma Deckel früher oder später selbstständig machen, erwirbt neben seiner Arbeit für Bolex den Meisterbrief und richtete sich 1964 eine feinmechanische Werkstätte ein, in der er, nach den regulären Arbeitsstunden in der Entwicklungsabteilung in der Leopoldstrasse, die Teile fertigt, die tagsüber auf dem Reisbrett entstanden waren. Am nächsten Tag konnte man dann mit den ersten Mustern schon weiterarbeiten. Als 1967 nach sechs Jahren Entwicklungsarbeit und mehreren Prototypen die Kamera produktionsreif ist, überlegt Thoma die Firma zu verlassen. Aus Yverdon überrascht ihn der Auftrag, in München eine vollständige Produktion für die Bolex 16 Pro aufzubauen. Mit den Einkäufern in der Schweiz bespricht Thoma den Ankauf der notwendigen Maschinen. Zunächst beginnt man in der Leopoldstrasse mit der Produktion. Aber bald erkennt man, wie ungeeignet die Räumlichkeiten für eine produktive Fertigung sind. Bolex kauft in München Ismaning in der Oskar-Messter-Strasse 15 ein Grundstück und räumt für die Fertigung 400 qm Fläche ein. 1969 zieht die Bolex GmbH aus der Leopoldstrasse nach Ismaning. Die Zahl der Mitarbeiter steigt auf 33 und die Serienfertigung läuft auf Hochtouren. Alle Sondereinrichtungen,  Werkzeuge und Vorrichtungen sind weitgehendst in Eigenregie angefertigt und wurden für einen Etat von 850.000 DM hergestellt. Dafür kommt aus Yverdon ein besonderes Lob, weil dergleichen im Stammhause wesentlich teurer gekommen ist.

Gebäude in der Leopoldstrasse, rechts das ehemalige Bolexgebäude in Ismaning

Das Kameragehäuse wird im Wachsausschmelzverfahren bei Alcan in Nürnberg gegossen. Bedingt durch die Konstruktion ist kein anderes Verfahren möglich. Über eine Negativform entsteht zunächst ein Wachsmodell, das in feinsten Sand eingebettet und gebacken wird, bis das Wachs aus der Sandform läuft. Dann wird das Aluminium eingegossen. Die Gussteile haben einen hohen Bearbeitungsgrad. 57 Operationen sind am Gehäuse notwendig, das bedeutet 57 Mal muss das Werkstück für die Bearbeitung eingespannt werden. Viel günstiger kommen die Kassetten, von der die meisten Teile im Spritzgussverfahren mit Makrolon, einem Polycarbonate-Kunststoff, hergestellt werden. Die Kamera kostet im Verkauf  35.000 DM und verursacht  Herstellungskosten von ungefähr 14.000 DM, was bei einer sechs-jährigen Entwicklungszeit zu teuer ist. Im Mai 1971 fährt Georg Thoma zum ersten Mal seit fünf Jahren in Urlaub nach Teneriffa. Dort erreicht ihn ein Fernschreiben aus Ismaning, das die Geschäftsleitung aus der Schweiz angereist ist. Offiziell heißt es, die Produktion soll in die Schweiz verlagert werden, faktisch bedeutet es das Aus für die Bolex 16 Pro. 100 Kameras sind fertig und verkauft und für weitere 50 Stück stehen Einzelteile und Baugruppen  zum Komplettieren bereit. Georg Thoma wird beauftragt alle Maschinen, Einrichtungen und Materialien in die Schweiz zu verlagern.

Nach Abschluss des Transfers, im Oktober 1971, macht sich Georg Thoma selbständig und baut seine Firma aus. Er bietet Bolex an, die fehlenden Steuer-Elektroniken für die restlichen Kameras zu bauen und liefert diese bis Ende 1972 aus. In der Schweiz werden im gleiche Zeitraum die noch möglichen Kameras montiert und verkaufsfähig gemacht. Bis 1974 werden diese Restbestände verkauft.

Das war dann auch der Zeitraum für das Ende des Unternehmens Paillard Bolex. Als selbständiger Unternehmer entwickelt Thoma von nun an quarzstabilisierte Kameramotore für die Arriflex 35IIC und 16ST und 16 BL, teilweise unter eigenem Label, teilweise für Sachtler oder Arnold&Richter und den Bayerischen Rundfunk, bevor er Mitte der 70er Jahre mit der Erfindung des Fluidkopfs für Sachtler eine bahnbrechende Entwicklung vorstellt, die ihm letztlich einen technischen Oskar 1992 einbringt.

Oben der Hacken des Regenschirmhalters 

 

Der Regenschirm Halter

In den Berichten über die Kamera wird immer wieder der Regenschirm Halter erwähnt, ein Hacken und Bolzen auf der linken Kameraseite, in dem man einen handelsüblichen Knirps einspannen kann. Während der Erprobungsphase hat Georg Thoma  am Münchner Marienplatz beim Trachtenumzug Filmaufnahmen gemacht. Die Kamera war unter einem Tuch vor neugierigen Blicken versteckt. Aber es regnete. Wenn man beide Hände zum Bedienen braucht, kann man keinen Schirm halten, und aus dieser Not entstand die Idee zum Regenschirmhalter, der wahrscheinlich selten benutzt wurde aber viel Aufmerksamkeit beim Fachpublikum auf sich zog.

 

Modelle

1970 entsteht noch eine Bolex 16 Pro 100, die bis zu 100 Bilder/s laufen kann, dafür aber 24V Spannung benötigt. Speziell für dieses Modell gibt es ein Steuergerät, an dem zusätzlich für 100 Bilder/s ein zweiter Akku angeschlossen werden muss, damit die 24V Spannung  zur Verfügung stehen. Ohne zweiten Akku kann man mit der Kamera bis 50 Bilder/s drehen. Mit dieser Modell-Erweiterung stehen nun 3 Versionen zur Verfügung:

  • Bolex 16 PRO SEPMAG-50          
  • Bolex 16 PRO COMMAG-50       
  • Bolex 16 PRO SEPMAG-100

Georg Thoma hat eine Version für 200 Bilder/s gebaut. Dafür brauchte die Kamera einen extra Sperrgreifer, mit dem sie einen guten Bildstand bei der hohen Bildfrequenz lieferte. Es blieb aber eine Einzelanfertigung. Die Kamera wurde mit Objektiv, zwei Kassetten, Steuergerät inklusive Akku und Ladegerät in einer Metallkiste der Firma Zarges geliefert und kostete 35.000 DM. Die Kamera wiegt mit Film ungefähr 12kg, die komplette Ausrüstung in der Transportkiste ungefähr 30kg.

Titelbild des "Deutschen Kameramanns"  Juli 1966,  rechts Erich Stoll von der Wochenschau mit hell lackiertem Prototyp während der Präsentation bei Kamera 66 auf der Berlinale, Pressefoto Bolex

 

Erfolg der Bolex Pro 16

Die Filmbranche ist in den Nachkriegsjahren allgemein sehr konservativ gewesen, und technische Neuheiten haben sich manchmal erst zögerlich durchgesetzt. Vor Elektronik und Video gab es lange Zeit eine reflexartige Abwehr. Im Nachhinein ist das Marktverhalten beim Technikkauf sehr schwer einzuschätzen, weil die Rolle der Mundpropaganda unter Kollegen nicht überliefert  und auch nicht nachvollziehbar ist. Warum die Bolex 16 Pro – die jeder Kameramann damals aus Publikationen kannte - letzten Endes so wenig Erfolg hatte, lässt sich nur vermuten und erahnen. Ein großes Manko war sicher die abgesetzte Elektronik im Batteriekasten. Mit der gab es wiederholt Ärger und erst eine komplette Umorganisation und ein Neuaufbau steigerte langsam die Verkaufszahlen. Da war aber den Paillard Werken (die neben den Bolex Kameras auch die Hermes Schreibmaschinen,  Präzisa Rechenmaschinen und Thorens Plattenspieler produzierten) schon das Geld ausgegangen. Sie hatten die Super-8 Film Technik verschlafen. So fiel bei der Bolex 16 Pro der sich langsam anbahnende Erfolg mit der Geldknappheit im Unternehmen zusammen und führte zur Einstellung der Produktion. Letztlich wurden von der Kamera nur etwas mehr als 150 Stück verkauft.

Im Rückblick bewahrheitet sich die Erkenntnis: wenn man zu viel Funktionen unter einen Hut bringen will und dadurch auch Kompromisse machen muss, führt das nicht unbedingt zum Erfolg. 1965 war die Bolex 16 Pro schon weitgehend fertig, als die Arriflex 16BL im Februar auf den Markt kam. Es war eine schnell zusammengebaute Kamera, vergleichsweise veraltet, ergonomisch ein Monster aber robust wie ein Traktor. Die Arriflex 16 BL ist ein Verkaufsschlager geworden.

 

Copyright Text und Fotos  Hans Albrecht Lusznat

 

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