Die Arriflex Story 03

Dreh einer Szene für einen Propaganda Film

Die PK-Filmberichterstatter
Hans Barkhausen, ehemaliger Filmreferent im Bundesarchiv, hat die Geschichte der NS-Propagandakompanie (PK) in seinem Buch „Filmpropaganda für Deutschland“ ausführlich dokumentiert. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die vier bestehenden Wochenschauen (Ufa, Tobis, Deulig, Bavaria) zur „Deutschen Wochenschau“ zusammengefasst, die von der Ufa hergestellt wurde. Alle PK-Filmberichterstatter waren Mitarbeiter dieser Wochenschau und erhielten ein knappes Honorar für ihre Arbeit.
Die Propagandakompanien waren offizielle Armeetruppen und unterstanden dem Armee-Nachrichtenregiment. Zur Zusammenarbeit mit dem Propagandaministerium hatte das Oberkommando der Wehrmacht einen Offizier zu Goebbels Beratung als Verbindungsmann abgestellt. Während des Krieges regelten unterschiedliche Verträge die Zusammenarbeit zwischen Propagandaministerium und den Militärs. Neben dem Heer stellten auch die Luftwaffe und die Marine eigene Propagandakompanien auf.
Mit Kriegsbeginn wird die Umlaufzeit der Wochenschau für den Kinoeinsatz von vorher sechzehn auf vier Wochen begrenzt. Die einzelnen Wochenschauen haben nun eine Länge von 600 bis 1200 Metern, entsprechend einer Vorführdauer von 20 bis 40 Minuten. Jede Woche liefern die Filmberichter bis zu 20 000m, manchmal auch 30 000m belichtetes Negativmaterial nach Berlin in die Krausenstraße, wo im Hauptgebäude der Ufa die Wochenschauen fertiggestellt und synchronisiert werden. Ungefähr 1700 Kopien werden pro Wochenschau gezogen und eingesetzt. Zusätzlich wird auch noch eine Auslandswochenschau von ca. 350m Länge produziert und in das befreundete Ausland geliefert.

Die Ausbildung
1943 sind 85 Filmberichterstatter beim Heer, 42 bei der Marine, 46 bei der Luftwaffe und 46 bei der Waffen-SS eingesetzt. Bis Oktober 1943 sind 62 Filmberichter gefallen, 57 verwundet und 4 in Gefangenschaft geraten. Fast alle Kameraleute, die zur Wehrmacht eingezogen werden, versetzt man zur Propagandakompanie. Berlin ist nicht nur der Stützpunkt für die Nachbearbeitung der Wochenschauen. Dort befindet sich auch das Materiallager für Kameratechnik, und in der Levetzostraße werden die PK-Männer 14 Tage lang in den Umgang mit der Kamera eingewiesen.

Theodor Nischwitz in seinem Büro bei der Bavaria Film Atelier 1987
Drei Monate lang ist Theodor Nischwitz Ausbilder. Bevor er zum Militär eingezogen wurde, war er zehn Jahre in der Ufa-Trickabteilung tätig, unter anderem auch bei Guido Seeber. Nach mitlitärischem Ordnungsmuster müssen die Ausbildungsteilnehmer das Einlegen im Dunkelsack auf Zeit trainieren. Vor allem die Aufnahmen aus fahrenden Fahrzeugen werden geübt, denn es ist selbst bei erfahrenen Berichterstattern vorgenommen – so erinnert sich Nischwitz – daß sie in gepanzerten Fahrzeugen die Kamera hochkant gehalten haben, weil sie so besser an die Sehschlitze paßte.
Der „Nachwuchs“ an Kameraleuten war begrenzt, und so greift man später auf artverwandte Berufe wie Fotografen und Laboranten zurück. 60m Film dürfen die angehenden PK-Filmberichter zur Übung verdrehen, meist im Berliner Zoo.

Zwei Beispiele
Theodor Nischwitz wurde im Frühjahr 1940 zur Propagandakompanie versetzt und erhält gleich zu Anfang eine Askania Z mit einem Objektivsatz bis 1000mm Brennweite und eine Arriflex-Handkamera mit Akku, 60m-Kassette und den drei Standardobjektiven. Sein erstes Einsatzgebiet ist Russland. Mit seinem Assistenten stellt Theodor Nischwitz einen Herres-Filmzug zur besonderen Verwendung (zbV) dar.  Sie werden jeweils von Ort zu Ort befohlen und transportieren ihre Ausrüstung in einem Kraftfahrzeug. Am 16. Oktober 1941 bricht über Nacht der Winter mit minus 20 Grad Kälte herein. Daraus ergeben sich die ersten wirklichen Schwierigkeiten für die Kameraausrüstung. Die Kapazität der Akkus ist zu gering, und das Filmen wird nur in der Nähe von Unterkünften möglich, wo sich das Gerät zwischendurch aufwärmen läßt. Später erhält Nischwitz neue Akkus mit wesentlich größerer Kapazität.
Ein Schaden an seiner Kamera bringt Theodor Nischwitz später aus dem Kessel von Demjansk in Rußland heraus. Von Berlin, wo die Kamera repariert wird, schickt man ihn an die Westfront. Sein Assistent fällt in Demjansk.
Bei Kriegsende hat es Nischwitz nach Hafling bei Endorf verschlagen. Mit der Kamera und ein wenig Material, das er noch übrig hat, fotografiert er amerikanische Besatzungssoldaten. Das Negativmaterial kann er im Fotolabor der Technischen Universität München entwickeln, das am gleichen Ort ausgelagert ist. Von den Aufnahmen macht er Kontakte und schneidet daraus kleine Daumenkinos zurecht, die er wiederum gegen Zigaretten tauschen kann. So ernährt ihn die Arriflex-Kamera in der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch. Später hat Theodor Nischwitz seine Kamera gegen Lebensmittel eingetauscht.

Horst Grund mit seiner Doppelkamera als PK Berichterstatter bei der Marine
Horst Grund begann seine Filmkarriere mit 16 Jahren als Volontär bei der Tobis. Mit 19 wird er 1934 Kameraassistent bei Carl Fröhlich und wirkt unter anderem bei den Filmen „Der Mustergatte“, „Traumulus“ und „Die Serenade“ mit. Nach dem Militärdienst wird er sofort eingezogen und Anfang 1940 zur Propagandakompanie der Marine versetzt. Dort filmt er zunächst mit einer Siemens F16mm Kamera, deren Negative in Berlin auf 35mm aufgeblasen werden. Am 31. Mai 1941 kommt mit einer JU 53 eine nagelneue Arriflex-Kamera aus München in Bukarest an. Stolzer Empfänger ist Horst Grund.  Zur Ausrüstung gehören die Kamera, ein Objektivsatz mit 35, 50, und 75mm Brennweite, sechs Kunststoffkassetten und zwei Säureakkus mit Ladegerät. Zusätzlich erhält Grund eine Askania Z mit einem Objektivsatz von 125 bis 600mm Brennweite. Erster Einsatz für die Arriflex ist das Fußballänderspiel Deutschland / Rumänien Anfang Juni 1941 in Bukarest. 170 Meter werden verdreht. Um gleichzeitig Totalen und Nahaufnahmen machen zu können, montierte Horst Grund seine Arriflex und Askania Z zu einer Doppelkamera auf einem Stativ zusammen. Acht Tage vor Kriegsende hat Grund dann die beiden Kameras im Garten eines Freundes in Berlin vergraben. Als die Amerikaner in die Stadt einrücken, gräbt er die Kameras wieder aus und bekommt mit ihnen vier Wochen später einen Job bei der Mars-Film in Spandau. Nicht alle Filmberichterstatter konnten sich der Gefangenschaft entziehen. Im sowetisch besetzten Teil Deutschlands wurden die PK-Leute als Kriegsverbrecher angesehen und viele erhielten hohe Haftstrafen.

Die Doppelkamera von Horst Grund, Arriflex und Askania Z

Die Gebote für den Filmberichterstatter
Oft wird von den Geboten für Filmberichterstatter im NS-Staat erzählt. Horst Grund hat diese im September 1943 vom Propagandaministerium an die PK-Leute ergangenen Anweisungen sowie etliche Fotos aufbewahrt. Hier einige Auszüge aus den zwölf Geboten:
1. Du sollst immer daran denken, daß durch Deinen persönlichen Einsatz Millionen an dem Weltgeschehen teilnehmen….
3.  Du sollst Deinen Ehrgeiz darin setzen, Deine Filmberichte aktuell, lebendig und das Wesentliche erfassend zu gestalten.
7.  Du sollst im Eifer Deiner Arbeit nicht die technischen Voraussetzungen einer guten Aufnahme – Schärfe, Blende, 24 Bilder, ruhige Schwenks – vergessen. Wähle Deine Einstellungen so, daß Menschen und Fahrzeuge stets die gleiche Richtung beibehalten.
12. Du sollst das filmtechnische Gerät durch sorgfältige Pflege in steter Einsatzbereitschaft halten, denn die Aufnahmekamera ist Deine Waffe…
Gebote für den Kameramann hat es auch früher schon gegeben, zumindest bei der Deutschen Wochenschau. Dort hatte man 20 Gebote aufgestellt, von denen das letzte lautete: „Denke überall daran, daß Du indirekt im Auftrag des Führers arbeitest und jedes Deiner Bilder seiner Kritik standhalten muß!“

Das Ende der PK
Von den ca. fünf Millionen Negativmetern der Kriegsfilmberichterstatter sind ungefähr 300 000 Metern in den Ausgaben der „Deutschen Wochenschau“ veröffentlicht worden. Kopien dieser Wochenschauen, nur ca. sechs Prozent des Gesamtaufnahmematerials, sind durch ihre große Verbreitung komplett erhalten und befinden sich im Besitz des Bundesarchivs in Koblenz. Der Verbleib des Originalmaterials ist nicht ganz geklärt. Ein Teil des Nitrofilms ist bei einem Evakuierungsversuch mit einem Elbschiff gesunken, der andere Teil vermutlich absichtlich vernichtet worden, oder beim Auffinden durch russische Soldaten in Folge von Unachtsamkeit in Brand geraten.
Als militärisches Sonderzubehör gab es zur Arriflex übringens ein Spezialkompendium mit eingebauten 45-Grad-Spiegel. Bei Normalbetrieb sah man mit der Kamera so in den Himmel. Gedacht war das Kompendium für Aufnahmen aus dem Schützengraben, wo man die Kamera senkrecht zu Himmel hielt und so aus dem Graben filmen konnte, ohne Kopf und Kamera zu riskieren.

Die Cineflex Kamera

Die Kopie
Was gut funktioniert und erfolgreich ist, das wird gerne nachgemacht. In den Vereinigten Staaten baute man während des Krieges  die Cineflex, eine kopierte Arriflex Modell I. Sie diente dort hauptsächlich militärischen Zwecken. Weil die Amerikaner mit Kurbelköpfen und flachen Stativen arbeiteten, hat man die Cineflex auf der Getriebeseite mit einer zweiten Motoranschlußmöglichkeit versehen. Nach 1945, als Arnold&Richte in dem von US-Truppen besetzten Bayern wieder in der Lage ist, Arriflex-Kameras mit deutscher Präzision zu liefern, verschwindet die amerikanische Kopie vom Markt, wohl weil sie teurer war als das Original.

Zum Teil 4 der Arriflex Story