“True King of Bokeh” oder ein veraltetes Objektivdesign?

31. März 2024

Seit einiger Zeit gibt es eine Neuauflage des ersten Summilux-M 1.4/35mm Objektivs. Es wurde im September 1960 zum ersten Mal auf der Photokina gezeigt und beruht auf einem Design von Dr. Walter Mandler von Leitz Canada. Es war bis 1995 im Verkaufsprogramm und in den 35 Jahren hat es natürlich Veränderungen gegeben. Eine bessere Vergütung sorgte für mehr Abbildungsqualität und bei der Aufstecksonnenblende und dem Filterhalter gab es Änderungen.

Es gibt Objektive von Leitz Canada und spätere Exemplare Made in Germany. Das Summilux-M war mit der Anfangsöffnung F1.4 in den 60er Jahren das lichtstärkste Weitwinkelobjektiv und ein Muss für Bildjournalisten und Dokumentaristen. Mit Filmen von maximal 400 ASA Empfindlichkeit brauchte man bei gewöhnlicher Innenbeleuchtung unbedingt eine Anfangsblende von F1.4 für Aviable Light Fotografie. Viele ikonische Bilder der 60er und 70er Jahre sind mit diesem Objektiv entstanden.

1993 habe ich beim Wechsel von einer M4 auf eine M6 Kamera auch dieses Objektiv in der 2. Version für 2888,- DM neu gekauft und war dann kurze Zeit später mit einer Arriflex SR16 Filmkamera und einem schon älteren Angenieux Zoom Objektiv F2.2 12-120mm im Testraum bei Chrosziel Filmtechnik in München. Filmobjektive werden in der Projektion begutachtet. Das Objektiv wird auf einen Testprojektor gesetzt und wirft ein Testdia auf eine große Wand, man stellt also die Wiedergabesituation des Kinos für das Aufnahmeobjektiv nach. Zum Spaß haben wir auch das Summilux-M 1.4/35mm auf den Testprojektor gesetzt. Leider war dieser Test ein Schlag ins Gesicht und bei offener Blende hat das 1,4/35mm in der Prüfprojektion so schlimme Geisterbilder, wie es der alte Angenieux Zoom über den ganzen Brennweitenbereich nicht erzeugt, so habe ich damals das Ergebnis in einem Brief an den Leica Kundendienst beschrieben. Man hat mich damals auf das veraltete Design von 1960 verwiesen und es gab ja schon seit drei Jahren das neue 1.4/35mm Asphärische Summilux-M.

Objektiv Testraum Chrosziel Filmtechnik 1993

In dem Sonderdruck „Leica M Objektive, ihre Seele und ihre Geheimisse“ der Leica Camera AG vom September 2002, S34 beschreibt Erwin Puts dieses Objektiv:

Das SUMMILUX 1.1,4/35 mm ergibt bei voller Öffnung ein Bild mit geringem Kontrast, klar sichtbaren feinen Details im Zentrum, die im Bildfeld und in den Ecken rasch weicher werden. Sehr feine Details werden im Bildfeld weich, aber unterscheidbar wiedergegeben. Bei dieser Öffnung zeigt das Objektiv eine schleierartige Überstrahlung und starke Lichthöfe sowie Doppelbilder bei Punktlichtquellen. Bei 1:2 verbessert sich die Gesamtleistung und bei weiterem Abblenden auf 1:2,8 ist der Kontrast dann ziemlich hoch, wobei sehr feine Details beträchtlich klarer mit recht hoher Kantenschärfe abgebildet werden. In der Bildmitte tauchen dann extrem feine Details auf, sie bleiben aber im weiteren Bildfeld weich. Die optimale Öffnung ist bei 1:8 erreicht. Dieses Verhalten ist für ältere Objektivkonstruktionen typisch, wobei Abblenden den Kontrast erhöht und die Wiedergabe feiner Details verbessert, letzteres aber nur in bescheidenem Maß.

Dies alles hat sich noch zu Zeiten der analogen Fotografie zugetragen. Das Medium war ein Film mit einer Silberkörner-Beschichtung, die eine eigene Textur ins Bild bringt und die Auflösung begrenzt. Für analoge Film- und Fotoobjektive war ein möglichst hohes Auflösungsvermögen das hauptsächlichste Design Ziel. Die in der Unschärfe liegenden Bildteile werden in der analogen Fotografie anders wiedergeben als in der Digitalfotografie.

Vergleich Bokeh Summliux-M 1.4/35mm II, links 24MP digital Aufnahme und rechts 400 ASA s/w Filmscan, Ausschnitte aus 100% Vergrößerung in Photoshop

Und so klingt die aktuelle Bewerbung des Summilux-M 1.4/35mm in einer Sonderedition Neuauflage von 200 Stück a. 10.000€ in der Pressemitteilung Leitz Wetzlar, 21.03.2024:

In seiner Abbildungsleistung entspricht die Sonderedition dem Serienmodell, das durch seine Abbildungsleistung und die unverwechselbare Bildwirkung überzeugt. Beim Fotografieren mit Offenblende entstehen Bilder mit besonders weichem, fast märchenhaftem Bokeh, das selbst mit digitaler Bildbearbeitung kaum zu erreichen ist. Sein außergewöhnlicher Bild-Look brachte dem Summilux-M 1:1.4/35mm den Titel „True King of Bokeh“ ein. Scharfe und verzeichnungsfreie Bilder liefert das Weitwinkelobjektiv spätestens beim Abblenden auf Blende 2.8 und erfüllt damit auch höchste Ansprüche an die Bildqualität.

Das Bokeh mag besonders weich sein, aber das Summilux-M 1.4/35mm ASPH. ist trotz besserer Abbildungsleistung noch einen Tick harmonischer in den Unschärfen.

Summilux_M 1.4/35mm II @ F1.4 (Ausschnitt)

Summilux-M 1.4/35mm ASPH. @ F1.4 (Ausschnitt)